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Rede zum Volkstrauertag 2023

Trauer ist sehr persönlich und individuell. Und so trauert jeder auf seine individuelle Art und Weise. Doch trotz der Unterschiede wie wir mit Trauer umgehen, gibt es eine Gemeinsamkeit. Wenn wir trauern, machen wir uns schmerzlich bewusst, dass die Welt wie wir sie bisher kannten, so nicht mehr existiert. Dieses anzuerkennen ist sehr schwer und macht uns betroffen, auch wenn wir die Verstorbenen nicht persönlich gekannt haben.

Gemeinsam allerdings, können wir etwas Trost darin finden, dass die Toten und die Opfer von Krieg und Gewalt so nicht vergessen werden. Durch Denkmäler, Mahnmale und Tagen wie dem heutigen, können wir Angehörigen, die sich nicht richtig verabschieden konnten, einen Ort zum Trauern bieten und dafür Sorge tragen, dass die Opfer nicht vergessen werden.

Der Volkstrauertag ist Teil einer gelebten Erinnerungskultur. Wie wichtig es ist, sich von Krieg und Gewalt abzugrenzen zeigt das aktuelle Weltgeschehen. Doch auch die Geschichte lehrt uns diese enorme Bedeutung. Deswegen ist es wichtig, dem Gedenken Raum zu geben. Wir selbst haben bei einer Schul-Exkursion zur Gedenkstätte Bergen- Belsen erfahren, mit was für einer Bedeutung die Gedenkstätten geprägt sind.

Der Besuch hat uns zu tiefst berührt und lehrte uns so neben dem geschichtlichem Aspekt auch die emotionale Bedeutung des Ortes.

Viele sind sich der NS-Geschichte und dem Holocaust bewusst. Ob es in der Schule gelernt wurde, Menschen sich selbst ausgiebig informiert haben oder intensiv von der Familie aufgeklärt wurden. Und doch ist es uns kaum möglich, zu realisieren, wie katastrophal die Bedingungen in den Gefangenlagern für die unzähligen Opfer wirklich waren. In der Gedenkstätte Bergen- Belsen wurden wir sowohl den Opfern als auch ihrer Geschichte näher gebracht.

Bilder und Zeichnungen, dokumentierte Schicksale und bis heute traumatisierte Zeitzeugen, haben uns sehr bewegt, aber auch belehrt. Es erreicht emotional eine besondere Ebene an einem Ort zu sein, an dem in der Vergangenheit unzählige Menschen gequält und ermordet wurden.

Allerdings sollte dies auch jedem von uns bewusst machen, wozu Menschen fähig sind. Es ist ein Ort, der uns alle erinnert, wie entsetzlich das Ausmaß der Geschehnisse war und der uns allen mehr als deutlich machen sollte, dass ein weiterer Völkermord mit aller Kraft verhindert werden muss.

Das Gedenken vermittelt, dass jeder von uns die Verantwortung hat, unsere Mitmenschen sowohl zu unterstützen, als auch zu beschützen und uns der gemeinschaftlichen Liebe hinzuwenden.

Unsere Gedanken sind heute ebenfalls bei den Menschen, die zu jener Zeit unter furchtbaren Bedingungen vergeblich versuchten zu überleben, bei den Menschen, die ihre gesamte Familie verloren haben und bei all den Kindern, die alleine sterben mussten.

Unsere Gedanken sind bei all den Opfern, die unter Krieg und Gewalt gelitten und ihr kostbares Leben verloren haben. So symbolisiert Bergen Belsen für uns das Leid und das Unrecht, welches all diesen Menschen wiederfahren ist.

Doch am diesjährigen Volkstrauertag gedenken wir in einer Zeit, in der die Welt wieder von Konflikten und Spannungen geprägt ist. Am präsentesten für die meisten Europäer sind momentan der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen der Hamas und Israel. Doch nicht nur dort dominiert brutaler Terror mittlerweile den Alltag. Weltweit gibt es aktuell um die hundert bewaffnete Konflikte und in den letzten 3 500 Jahren Menschheitsgeschichte herrschte insgesamt mehr als 3 250 Jahre Krieg und nur 250 Jahre Frieden. Das sind 13 Jahre Krieg auf ein Jahr Frieden. Im selben Zeitraum wurden über 8 000 Friedensverträge geschlossen, die ewig gültig sein sollten.

Auch nach dem ersten Weltkrieg wurde ein Friedensvertrag geschlossen, um den Frieden in der Welt zu sichern.

Und Deutschland versuchte einen demokratischen Neuanfang zu schaffen. Um sich dennoch an das Leid des Krieges zu erinnern und es als Warnung zu begreifen, gibt es seit 1922 den Volkstrauertag als offiziellen Gedenktag.

Der damalige Reichstag erinnerte erstmals an die gefallenen Soldaten und zivilen Kriegsopfer. Zu diesem Anlass hielt der Reichstagspräsident Paul Löbe eine Rede: Zitat: „Leiden zu lindern, Wunden zu heilen, aber auch die Toten zu ehren, Verlorene zu beklagen, bedeutet die Abkehr vom Hass, bedeutet die Hinkehr zur Liebe, und unsere Welt hat Liebe not“

Während zu Zeiten der Weimarer Republik die Aussöhnung mit Frankreich ganz oben auf der Agenda stand, ist es heute das friedliche Zusammenleben aller Kulturen in einer Gemeinschaft, die von gegenseitigem Respekt geprägt wird. Während damals die Trauer um die Toten als Abkehr vom Hass und Hinkehr zur Liebe deklariert wurde, ist es heute mehr eine Hinwendung zur Verständigung miteinander.

Und genau dieses sollte einer der Wege sein mit Trauer umzugehen.

Wir brauchen eine friedliche Verständigung aller Menschen, da sie so essenziell für das Zusammenleben unserer Gesellschaft ist, wie das gemeinsame Erinnern am heutigen Gedenktag.

Heute gedenken wir Menschen aller Nationen weltweit, damit unsere gemeinsame Vergangenheit, sowie die Opfer, die sie mit sich brachte, nicht verdrängt, sondern aufgearbeitet und gewürdigt werden. Wir müssen die Erinnerung an die Vergangenheit wachhalten, um aus ihr zu lernen und eine friedvollere Zukunft gestalten zu können. Der Volkstrauertag ist nicht nur ein Gedenktag an die Toten.

Der Volkstrauertag ist eine Aufforderung an uns, als eine lebendige und vielfältige Gesellschaft, jetzt die Verantwortung wahrzunehmen und zu ergreifen, damit Krieg, Gewalt und Vorurteile nicht weiter toleriert werden und wir in einer Gemeinschaft voller Liebe und gegenseitigen Respekt für einander leben können. Indem wir uns allen Formen von Diskriminierung entgegenstellen, stehen wir heute für ein Miteinander ein, welches erst durch die Abkehr vom Hass und die Hinwendung zur Verständigung möglich werden wird.

Johann Reese, für das Geschichtsprofil

Link zu Artikel auf Quickborn1:
https://www.quickborn1.info/2023/11/19/gedenkstunde-zum-volkstrauertag-mahnung-an-die-lebenden/